Die Serrahnstraße in Bergedorf

Skulptural: Der alte Krahn, 2023

Individuell: Das Geländer, 2023

Aufgeräumt: Die Promenade, 2023

Besitzbare Reminiszenz an Zeiten des Holzumschlags, 2023

Fachbeitrag, erschienen in:
„Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2023/24“, Hg. von der Hamburgischen Architektenkammer

Im 15. Jahrhundert angelegt, um Billwerder vor Hochwasser zu schützen, zählt der Schleusengraben in Bergedorf zu den ältesten künstlichen Wasserstraßen Deutschlands. Das kanalisiert ins Flusssystem der Elbe abgeleitete Wasser der Bille eröffnete den Bergedorfern erstmals einen durchgehenden Wasserweg nach Hamburg. Von dem zu einem Hafenbecken ausgebauten Schleusengraben wurde Gemüse aus den Vier- und Marschlanden bezogen und Bauholz aus dem Sachsenwald nach Hamburg geschafft, später Rohstoffe für Bergedorfs Industrie. 1902 leistete sich das damals selbständige Bergedorf den Ausbau eines kleinen, aber sehr leistungsfähigen „Neuen Hafens“ nahe dem Stadtzentrum am „Serrahn“ (slawisch für Aalfang). In der die Kaimauern begleitenden Straße reihten sich hochmoderne, elektrisch betriebene Drehkräne, die zu den wenigen Sehenswürdigkeiten des umgebenden Arbeiterviertels gezählt wurden.

Doch diese Schiffertradition ist schon seit siebzig Jahren Geschichte. Zuletzt wirkte die Serrahnstraße trotz ihrer Lage am ehemaligen Hafen etwas heruntergekommen, auf ihren einhundertdreißig Metern Länge von einem trivialen Nebeneinander unterschiedlicher Wegebeläge, Zäune und Schilder geprägt und von einer Reihe großer Platanen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts beengt.

Um sozialen Zusammenhalt und die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern, wurde Bergedorf-Serrahn 2018 als Fördergebiet im Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung festgelegt und ein freiraumplanerischer Ideenwettbewerb ausgelobt. Unter den vier teilnehmenden Teams erhielt der Beitrag von YLA Ando Yoo Landschaftsarchitektur den Zuschlag. YLA überzeugten mit der Idee eines dreigeteilten Boulevards. Die durchschnittlich nur dreizehn Meter breite Straße wird in drei parallele Nutzungszonen geteilt: private Außengastronomie als Sondernutzung an den Gebäuden, öffentliche Promenade in der Mitte und öffentlicher Aufenthaltsbereich am Wasser.

Kann die Sanierung der Kaimauer mit den „Wassertreppen“ genannten Zugängen zum Hafenbecken aus Denkmalschutzgründen als bereits gesetzt gelten, so stärkten YLA den ideellen Bezug auf die Hafengeschichte zusätzlich durch die Wiederverwendung und Ergänzung vorhandenen Granitgroßpflasters, durch selbst entwickelte „Stapelbänke“ aus massiven geglätteten Duckdalben sowie durch „Schutenbänke“ in Bootsform mit innenliegenden Gräserbeeten, um an den ehemaligen Holzumschlag und den wichtigen Getreidetransport zu erinnern. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die vollständige Rodung der Platanen verständlich, die den historisch offenen Charakter der Straße empfindlich gestört hatten.

Das bauliche Ergebnis zeigt die für YLA charakteristische Klarheit und Unaufdringlichkeit: Der zum Hafenbecken nun weitgehend offene Raum breitet sich mit nur wenigen Materialien – Granitstein, naturbelassenes Vollholz, oxidiertes Gusseisen und anthrazitfarben lackierter Flachstahl – wie selbstverständlich aus. Vorherrschendes Wegematerial ist das geschnittene Granit-Großpflaster, überwiegend im wilden Verband diagonal zur Laufrichtung und nur in Aufenthaltsbereichen am Wasser im Reihenverband verlegt. Unauffällig sind darin die notwendigen Zufahrten zu den Gastro- und Hotelbetrieben gelungen. Ein langes Plattenband aus schwedischem Bohus-Granit trennt den öffentlichen Aufenthaltsbereich vom Promenadenbereich. Dieser wird seinerseits vom Gastrobereich durch die schnurgerade Entwässerungsrinne und einen knapp ein Meter breiten Funktionsstreifen aus Bohus-Granit getrennt, der die neue Baumreihe sowie Mastleuchten, Papierkörbe und einige Fahrradbügel aufnimmt. YLAs Blick fürs Detail verraten die Entwässerungsrinnen, deren Roste aus oxidierten Quadratstäben dem der Baumrosten genau entspricht.

Für die gestalterisch besonders sensible Kaikante, historisch ohne Absturzsicherung und noch im Wettbewerb als visuell offenes Geländer mit einfachem Kniegurt und nach innen gekröpftem Handlauf versehen, verlangte der Denkmalschutz im Rahmen der Genehmigung des Entwurfs ein Geländer mit senkrechten Füllstäben. In Anlehnung an die südlich anschließenden Bestandsgeländer haben YLA ein solches Geländer entwickelt und kompensieren dessen geringere Transparenz damit, die bisherige Heterogenität unterschiedlicher Hinweisschilder und Pfosten, die bislang auf unterschiedliche Weise an den diversen Zäunen befestigt waren, nunmehr mittels verglasten Schildkästen oder auch festen Schriftzügen (wie z. B. „Wassertreppe1“) in den Zaun zu integrieren. „Ich hasse diese Kabelbinder, mit denen hier alles Mögliche irgendwo festgemacht wurde“, verrät Ando Yoo im Gespräch und zeigt sich mit dem neuen Zaun versöhnt.

In dem derart aufgeräumten Gelände beherrscht neben dem Hafenbecken der letzte verbliebene und nunmehr sanierte Drehkran etwas klobig die Szene, auch die anstelle der von YLA vorgeschlagenen Kupferfelsenbirnen verwendeten Kobus-Magnolien machen ihm seinen Rang nicht streitig. Nur Weniges stört die leicht museal wirkende, aufgeräumte Hafenszene: Ein paar Eilige brausen mit dem Fahrrad durch – ein Fahrradverbot war politisch nicht durchsetzbar -, andere stellen mal eben ihre Autos ab, wo sie niemanden zu behindern glauben; die Restaurants haben sich nicht zu einer einheitlichen Bestuhlung durchringen können und nehmen auch den Funktionsstreifen für ihre Tische in Beschlag; ein paar Mastleuchten haben sich aus dem Funktionsstreifen an die Kaikante verirrt –  Yoo nimmt‘s gelassen. Sein Entwurf funktioniert: Menschen sitzen an den Außentischen der Cafés, blicken von den Stapelbänken übers Wasser, flanieren über das angenehm changierende Promenadenpflaster. Ein paar weiße Masten sind mit Kabelbindern am neuen Geländer befestigt, ihre Fahnen flattern fröhlich im Wind, kaum jemand merkt‘s.