Hirschpark in Hamburg-Nienstedten

   

Die Sanierung des Hirschparks wurde auf Grundlage des Pflege- und Entwicklungsplans des Büros Meyer Schramm Bontrup Landschaftsarchitekten in Kooperation mit Schnitter • Gartendenkmalpflege • Freiraumplanung aus dem Jahr 2006  gemäß Entwurf und Ausführungsplanung durch das Büro Schnitter • Gartendenkmalpflege • Freiraumplanung unter bauleitung des Bezirks Hamburg-Altona, MR Abteilung Stadtgrün im Jahr 2014 fertiggestellt.
Bausumme 170.000 €

Alter Friedhof Hamburg-Harburg

   

Basierend auf dem im Jahr 2008 in Kooperation zwischen Schnitter • Gartendenkmalpflege • Freiraumplanung und Wagner Landschaftsarchitektur erstellten Pflege- und Entwicklungsplan wurden Sanierungen der Wege und ausgesuchter Grabanlagen nach Planung und Bauleitung von Schnitter • Gartendenkmalpflege • Freiraumplanung in den Jahren 2010-2012 durchgeführt

чёрный монах [ Le Moine noir ]

  

Die folgende Analyse von behandelt die erstmals 1894 erschienene Erzählung „Der schwarze Mönch“ des russischen Schriftsellers Anton Tschechow. Die Analyse ist in französischer Sprache in dem Ausstellungskatalog „Des Jardins & Des Livres“, hg. von Michael Jakob, Genf 2018, S. 390-391, erschienen. Das Buch wurde 2018 mit dem René Perchère-Literaturpreis für französischsprachige Werke aus den Bereichen Garten und Landschaft ausgezeichnet.

Was denkt, wie empfindet ein psychisch Kranker? Kann er das Ausmaß seiner Verwirrung erkennen? Folgen seine Vorstellungen einer ihm allein verständlichen Logik und lassen sie sich textlich darstellen? In der 1894 erschienenen Erzählung „Der schwarze Mönch“ geht der Schriftsteller und Arzt Anton Tschechow einer paranoiden Erlebniswelt aus der Perspektive eines Kranken nach.

Der zunächst offenkundige Plot ist schnell erzählt: Magister Kowrin halluziniert einen schwarzgekleideten tausendjährigen Mönch, der ihm Genialität versichert. Eine ärztliche Behandlung bricht Kowrin ab, da sie ihn seine Mittelmäßigkeit quälend empfinden lässt. Seine Ehe mit Tanja Pessozkaja zerbricht, ihr Vater – einst Kowrins Pflegevater – stirbt darüber vor Verzweiflung und dessen landesweit berühmter Handelsgarten verkommt. Unmittelbar nachdem Kowrin die fatalen Folgen seiner Paranoia erkannt hat, erliegt er – wieder glücklich im Wahn befangen – einem Blutsturz.

Pessozkis Gärten scheinen durch Kowrins Wahrnehmung und ihrem Verfall als Metapher der zerstörerischen Paranoia zu dienen. Dabei zeigt die Erzählung nicht nur in botanischen Details eine hortkulturelle Affinität des Autors:

  • Der in der Erzählung genannte „Gauchet“ verweist auf den Pomologen und Baumschulbesitzer Nicolas Gaucher (1846-1911), der als Begründer des Formobstbaus in Deutschland gilt und dessen Werke ins Russische übersetzt wurden. [1] Artikel zur Pomologie waren Ende des 19. Jh. über die „Gartenflora“, der Monatsschrift für deutsche, russische und schweizerische Garten- und Blumenkunde auch in Russland verfügbar und belegen die große Bedeutung dieser gartenbaulichen Disziplin in dieser Zeit.
  • Pessozkis Obergärtner Iwan (russisch für „Hans“) Karlytsch ist deutscher Herkunft: Tatsächlich hatten im späten 19. Jahrhundert deutschstämmige Gärtner oft herausragende
    Positionen in russischen Gärten inne.[2] Die verkürzte Form des Vatersnamens deutet auf die Vertrautheit Pessozkis mit seinem verlässlichsten Mitarbeiter.
  • Das in der Erzählung geschilderte, im Deutschen als „Reifheizen“ bekannte Verfahren, war ein verbreitetes Mittel, um Pflanzen mittels Rauchentwicklung vor Spätfrost zu schützen.[3]

Hinter den scheinbar klaren Schilderungen des Erzählers treten jedoch seine krankhaften Wahrnehmungen in motivischen und klanglichen Äquivalenzen zutage. 4 In dieser durch Größen- und Verfolgungswahn getrübten Sicht offenbart sich ihm eine monströse Intrige: Eine geistige Verwandtschaft zwischen Kowrin und Pessozki nährt den Verdacht, Pessozki sei Kowrins leiblicher Vater. [5] Den „raffinierten Abnormitäten und Verspottungen der Natur“ gleich, die als Züchtungen den dekorativen Teil des Gartens prägen, plant Pessozki, aus der Verbindung der Halbgeschwister einen Bastard als Erben seines lukrativen Unternehmens zu züchten. Tanja scheint in das Komplott eingeweiht, dreht sich ihr Leben nach eigenem Bekunden doch nur um „Hochstamm, Halbstamm (…) Okulieren, Kopulieren“. Sie selbst gleicht den „empfindlichen, heiklen“ Gartenfrüchten, die Pessozki bei Reife verkauft.

Kowrin ahnt seine uneheliche Herkunft, sieht er sich doch in den Augen Tanjas und Pessozkis als „Irod“ (Herodes), das im gartenbaulichen Kontext auf dessen phonetisches Äquivalent „Urod“ (Missgeburt, Bastard) verweist. Auch der Mönch als Kowrins Alter Ego zeigt in seinem listigen Lächeln, Pessozkis Plan zu kennen: Seine gekreuzten Arme symbolisieren die drohende Kreuzung mit der Halbschwester. Als infolge der Trennung von Tanja und Pessozkis Tod der Garten mit den abnormen Züchtungen zunichte wird, besiegelt Kowrins Tod – mit seinem Blut symbolisch auch die genetische Verbindung zu Pessozki ausspuckend – das Scheitern der Intrige.

Eine stark verkürzte Rahmenhandlung lässt erahnen, dass Kowrin unwissentlich einer medizinischen Fallstudie dient. Kowrins Reise nach Borissowka ist durch den Rat eines Arztes motiviert. In dieser ersten Krankheitsphase scheint Kowrin die Landschaft von seiner Weltbedeutung zu sprechen. In der anschließenden Phase markiert das zweite Auftreten eines Arztes die neue Versuchsanordnung der Medikamentierung, in der die Landschaf „reglos und stumm“ erscheint. Kowrins Ende wird durch das Auftreten einer Pflegerin markiert, die ihn zu einer Kur nach Jalta begleitet. Dort bewundert er die Ruhe und Weite der See, die sein Eintauchen ins Nichts vorwegnimmt.

Der Autor legt aber auch nahe, Kowrins Krankheit könne von Außen befördert sein: Durch Pessozkis übermäßige Bewunderung für Kowrin und durch eine Bromkaliumbehandlung, von der in medizinischen Fachkreisen bekannt war, Gedächtnisverlust, Aggressivität und sogar Halluzinationen hervorrufen zu können. Auch Kowrins tödlicher Bluthusten könnte neben Tuberkulose auch durch eine Reizung der Luftröhre durch hochdosiertes Bromkalium befördert sein. [6] Nicht zuletzt ist sein Verfolgungswahn insofern nicht unbegründet, als dass er unwissend als Studienobjekt dient.

Kowrin bezieht seine Einbildungen aus Gärten, Landschaft und einer Fülle unterschiedlicher Quellen wie Liedern und Romanen. Die Namen Kowrin (Teppich) und Pessozki (Sand) verweisen in Verbindung mit der Fata Morgana des Mönchs zudem auf die „Märchen aus 1001 Nacht“. Derart den phantastischen Charakter durchscheinen lassend, macht der Autor Verwirrung zum arabesquen Konstruktionsprinzip seiner Erzählung.

Tschechow verarbeitete aber auch praktische Erfahrungen aus seiner Zeit als Eigentümer des landwirtschaftlichen Guts Melichowo bei Moskau. Um seine eigene TBC-Erkrankung zu kurieren, erwarb er 1899 ein Grundstück im heutigen Jalta und schuf dort aus einem felsigen Areal einen blühenden Garten: Er bestellte Obstbäume, Rosen und Samen aus allen Landesteilen und schwärmte, er pflanze alles eigenhändig. Ob ihm die kranichgleiche Tanja Pessozkaja in den Sinn kam, als ein Kranich als Dauergast seines Gartens erschien? Der Glücksvogel half jedoch nicht: Tschechow erlag seiner Erkrankung 1904, ein Jahrzehnt nach Erscheinen von „Der schwarze Mönch“.

Literatur
1 Kluge, Rolf Dieter, Anmerkungen und Nachwort. In: Anton Tschechow, der schwarze Mönch, Russisch/Deutsch. Übers. Kay Borowsky. Stuttgart 1996
2 Vgl. z.B. Reymann, Andrey, Deutsche Gärtner und Gartenkünstler und ihre Arbeiten in St. Petersburg. In: Preußische Gärten in Europa: 300 Jahre Gartengeschichte. Hg. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg, Potsdam 2007, S. 244-247
3 Berliner Allgemeine Gartenzeitung Jg. 6, (1838) No. 17, S. 134
4 Vgl. Schmid, Wolf, Ornamentales Erzählen in der russischen Moderne : Čechov – Babel‘ – Zamjatin. Frankfurt am Main, 1992
5 Vgl. Freise, Matthias, Personendarstellung und Personenbewußtsein bei Cechov – die Erzählung „Cernyj Monach“. In: Wiener Slawistischer Almanach 28
6 Graf, Otto. Das Bromkalium als Heilmittel beleuchtet von Dr. Otto Graf, prakt. Arzte zu Waldheim. Leipzig 1842

Ada or Ardor : A Family Chronicle [ Ada ou l’Ardeur ]

 

Die folgende Analyse von behandelt den erstmals 1969 erschienenen Roman „Ada oder das Verlangen“ des russischen Schriftsellers Vladimir Nabokov. Die Analyse ist in französischer Sprache in dem Ausstellungskatalog „Des Jardins & Des Livres“, hg. von Michael Jakob, Genf 2018, S. 442-443, erschienen. Das Buch wurde 2018 mit dem René Perchère-Literaturpreis für französischsprachige Werke aus den Bereichen Garten und Landschaft ausgezeichnet.

Auf einer geographisch frei imaginerten „Anti‐Terra“ rekapituliert ein über neunzigjähriges Liebespaar ‐ Geschwister, die für Cousin und Cousine gelten ‐ seinen langen Weg zueinander. Vordergründig eine Familienchronik, verflicht Nabokov „Ada“ zu einem komplexen Gewebe, das „die Textur der Zeit“ offenlegen soll. Angefüllt mit mehrsprachiger Wortakrobatik, werkimmanenten Verweisen und intimen Details tragen die Erzähler im fliessenden Wechsel vor:

„Die Details, die durchscheinen oder durchschatten: blankes Blatt durch hyaline Haut, grüne Sonne im braunen feuchten Auge, tout ceci, Wsjo eto, in triplo und in toto, muss in Betracht gezogen werden; nun bereite Dich auf die Übernahme (des Erzählens, JS) vor.“ [1]

Die sich zu einem schwer durchdringlichen Gewirr von Namensähnlichkeiten und Nebenschauplätzen verdichteten und diffundierenden Geschehnisse sind stellenweise nur für „Wiederleser“ [2] nachvollziehbar und halten wie Dornengestrüpp unerwünschte Besucher ganz fern. Doch „ein paar Leser, diese denkenden Schilfrohre“ [3] sollen einen neuen Kosmos entdecken: Obwohl Adelaida „Ada“ Durmanov und Ivan „Van“ Veen verwöhnten Königskindern gleichen und so anspruchsvoll und narzistisch scheinen, dass die Wahl des geschwisterlichen Lebenspartners wie eine Wahl des eigenen Selbst anmutet,[4] schafft ihre tiefe Vertrautheit ein Reich kristallener Klarheit:

„Unterdes waren sie am rond‐point angekommen – eine kleine Arena, umgeben von Blumenbeeten und verschwenderisch blühenden Jasminbüschen. Oben über ihren Köpfen langten die Arme einer Linde  nach denen  eines Eichbaums  gleich einer grünpaillettierten Schönen im Anflug auf ihren kräftigen Vater, der sie mit den Füßen am Trapez hängend  erwartet. Schon damals verstanden wir beide solche Dinge, schon damals.“ [5]

Als wäre die sexuelle Geschwisterliebe der Zwölf‐ bzw. Vierzehnjährigen nicht Zumutung genug, überhöht sie Nabokov noch darin, dass der elterliche Stammbaum mütter‐ und väterlicherseits mehrfach auf eng verwandte und sogar dieselben Ahnen zurückführt. Doch den durch den Skandalroman „Lolita“ berühmte gewordenen Nabokov treibt  mehr als die Lust am generationenübergreifenden Inzest. Vielmehr ist die Verschmelzung der über Generationen von- und zueinander treibenden Familien eine Kulmination wahren Begehrens. Denn obgleich genealogisch vorherbestimmt, erweist sich ihre Liebe zwischen Ada und Van als tiefempfunden: Angesichts „jene(r) Nichtigkeit staunenswerten individuellen Bewusstseins und junger Genialität, die gelegentlich aus diesem oder jenem bestimmten Atemzug ein nie dagewesenes und unwiederholbares Ereignis im Kontinuum des Lebens macht (…)“,[6] zeigt diese Liebe in ihrer Einzigartigkeit Sinn in einer Welt nur scheinbar austauschbarer sexueller Anziehung.

Van verdichtet seinen inneren Lustgarten zu dem Dreiklang „Ada, our ardours and arbors“ [7]. Ardis, das Anwesen, in dem Van und Ada sich finden, ist sowohl Nabokovs eigenen Kindheitserinnerungen wie auch dem Mythos vom Paradiesgarten verwandt. Als Spross reicher und feinsinniger Eltern genoss Nabokov als Kind die Faszination eines großen Parks mit allen Annehmlichkeiten. Wyra, das ehemalige Gut der Nabokovs, liegt bei St. Petersburg am Ufer des Oredesh. Mit der Flucht vor den Bolschewiki verlor die Familie 1917 diesen und fast allen anderen Besitz. Durch seinen Erfolg als Schriftsteller gelang es Nabokov, sich ein Leben in Wohlstand neu zu erarbeiteten, doch sind viele seiner Werke durchdrungen von Reminiszenzen an das verlorene Kindheitsparadies von Wyra, das er sich so erinnernd immer wieder neu erschuf.[8]

Der Park von Ardis bietet die Grundlage für ein Hauptmotiv des Romans: Schmetterlinge. Denn Ada ist auf botanische und zoologische Details fixiert (wie der Autor selbst: Nabokov war professioneller Lepidopterologe), die sie sinnlich zu genießen versteht:

„Die porzellanweiße Mönchslarve  mit Augenflecken, ein kostbares Kleinod, hatte unversehens ihre nächste Metamorphose vollendet, aber Adas einzigartiges Lorelei‐Ordensband war dahingeschieden, gelähmt von einer Schlupfwespe, die sich von jenen cleveren  Protuberanzen und pilzförmigen Klecksen nicht hatte täuschen lassen. Die bunte Zahnbürste  hatte sich in einem  zottigen Kokon verpuppt und versprach, im Spätherbst zu einer Orgyia persica zu werden.[9]

Adas Passion für Schmetterlinge zieht sich als grüner Faden durch das komplexe Geschehen und findet seine Entsprechung in anatomischen Details der erinnerten Liebesszenen. Die nie nachlassende Exaktheit garantiert Einzigartigkeit und Identität:

„Naturkunde, dass ich nicht lache! Die am wenigsten natürliche Kunde – weil die Präzision der Sinne und des Sinns einem Bauerngemüt unangenehm absonderlich vorkommen muss und weil das Detail alles ist.“ [10]

Im Erinnern wird die vermeintliche Realität seziert und neu, manchmal monströs zusammengesetzt. Die sich wandelnden Beschreibungen spiegeln gleich immer neuen Metamorphosen die Einzigartigkeit augenblicklicher Empfindung trotz eines naturgegebenen Rahmens. Nabokov fasst dies in den Anagrammen insect, nicest, scient und incest.[11]

Die Erzähler verfolgen diesen Gedankenzusammenhang in ihrer Jahrzehnte währenden Liebesgeschichte. Mit sexueller Begierde begonnen und von einer langen Reihe von Treuebrüchen und Trennungen gekennzeichnet, erfüllt die schließlich erst im Alter erlangte (nun asexuelle doch weiterhin körperliche) völlige Zuwendung der Liebenden das Verlangen nacheinander.

„Ada“ zeichnet damit eine Welt, die in detailreicher und in geteilter Subjektivität einzigartiger Liebe ihren Wert bis zur Auflösung des Selbst behaupten kann. Eine Utopie freilich, denn das Paradis Ardis ist auch als Gegenwelt Edens zu verstehen, als ein in Übertretung geschaffener Himmel. Der „Ada“ (russisch „Hölle“) können die Liebenden dabei nicht entgehen; dem „immerwährenden Nichtwähren“ [12] treten „Vaniada“ (russisch „Van und Ada“) aber gemeinsam und würdevoll entgegen:

„In Wirklichkeit hat die Frage des Vorrangs beim Sterben kaum noch irgendeine Bedeutung. Ich meine, der Held und die Heldin sollten zu dem Zeitpunkt, da der Schrecken beginnt, einander so nahe, so organisch nahe sein, dass sie sich selbst überschneiden, überkreuzen, überschmerzen…“  [13]

 

Literatur

[1] Vladimir Nabokov, Adada oder das Verlangen: eine Familienchronik (= Gesammelte Werke Bd. XI) Hg. Dieter E. Zimmer. Aus dem Engl. von Uwe Friesel und Dieter E. Zimmer. Reinbek bei Hamburg 2010, S. 107

[2] Ibid. S. 35

[3] Ibid. S. 107

[4] Dieter E. Zimmer, Nachwort. In: Nabokov, Ada, 2010, S. 827-848, hier s. 837

[5] Nabokov, Ada, 2010, S. 80

[6] Ibid. S. 107

[7] Ibid. S. 111

[8] Joachim Schnitter, Gärten als Kristallisationen von Zeit und Verlust bei Anton Tschechow und Vladimir Nabokov. In: Die Gartenkunst Jg. 25 (2013), Heft 1, S. 231-238

[9] Nabokov, Ada, S. 88

[10] Ibid. S. 107

[11] Ibid. S. 127

[12] Ibid. S. 818

[13] ibid

Grünzug Hamburg-Dulsberg: 1918-2018

Auf dem Dulsberg schufen der Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher und sein kongenialer Planungspartner Otto Linne als Gartendirektor ab 1918 eine der prägenden städtebaulichen Figuren im Hamburger Stadtteil Barmbek. Die Broschüre erläutert die originale Planungskonzeption vor Schumacher und Linne, ihre Neukonzeption, die Neuschöpfung des Grünzugs unter Gartenamtsleiter Werner Töpfer in den 1950er Jahren und die Entwicklung dieses bis heute bestehenden „kleinen Stadtparks“ mit zahlreichen zuvor unveröffentlichten Originalabbildungen.

Die 52-seitige Broschüre ist als Druckausgabe erhältlich beim
Bezirksamt Hamburg-Nord – Fachamt Management des öffentlichen Raumes – Fachabteilung Stadtgrün – Kümmellstraße 6 – 20249 Hamburg
Tel: 040 – 428 04 6052
Email: mr@hamburg-nord.hamburg.de

Hier können Sie die Broschüre kostenlos herunterladen.

Perle der Sepulkralkultur: Alter Friedhof Bad Oldesloe

   

Der Alte Friedhof Bad Oldesloe wurde 1824 eröffnet. Seit 1975 öffentliche Parkanlage stellt er heute ein faszinierendes Stück Gartenkunstgeschichte dar, in dass sich einige der bedeutendsten Bau- und Gartenkünstler der Region eingeschrieben haben: Alexis de Chateauneuf (1799-1853), Harry Maaß (1880-1946), Richard Kuöhl (1880-1961) und  Max Karl Schwarz (1895-1963). Darüber hinaus bildet die Anlage die sich in der Zeit wandelnden Auffassungen von Kriegsgeschehen zwischen 1871 und 1960 ebenso ab wie zeittypische Tendenzen der Verlandschaftlichung in den 1970er Jahren sowie eine sich in den 1980er Jahren etablierende Gartendenkmalpflege.

Die 90–minütige Führung ist besonders für Bad Oldesloer interessant, die mehr über einen ihrer spannendsten Parks erfahren möchten. Sie können die Führung für bis zu 25 Personen buchen. Hier geht’s zum Kontakt.

Hamburgs grünes Metropolis: Grünzug Dulsberg

 

Der bogenförmige Grünzug des Dulsbergs sticht als markante Figur mit hohem Wiedererkennungswert auf jeder Karte und jedem Luftbild hervor. Wer vor Ort die weitläufigen Wiesenflächen erreicht, spürt wohl, dass er ins Zentrum des Quartiers gelangt ist. Und möchte ausrufen, dass Baudirektor Schumacher nicht umsonst gerungen hat um diesen Ort! Als „auffällig unauffällig“ wurde Dulsberg andererseits schon vor Jahrzehnten charakterisiert. Und auf den zweiten Blick mag auch etwas Ernüchterung folgen. Auf geschlossenen Wiesenflächen wechseln ausgewiesene Grillzonen mit eingestreuten Spielplätzen, einer Streetballanlage, einem Rosengarten, einer Hundewiese; die umgebenden Rotklinkerfassaden verschwinden weitgehend hinter – bisweilen durchaus markanten – Baumgestalten; und doch will sich der Eindruck des Besonderen nicht ohne weiteres einstellen. Grund dafür ist eine Reihe gestalterischer und funktionaler Brüche, die das Areal in seiner über 100-jährigen Geschichte erfahren hat und die eine eigene Faszination bei genauerer Betrachtung entfalten.

Die 90- bis 120-minütige Führung können Sie für bis zu 25 Personen buchen.

Hier geht’s zum Kontakt

Die letzte Führung fand im Rahmen des Tags der Architektur und Ingenieurbaukunst in Hamburg am Sonntag, 30. Juni 2019 statt.

„Centralpark“ der Geschäftstadt: Hamburgs City Nord

 

In ihrer Lage im Stadtraum und ihrer frühen Konzeption unter dem Hamburger Oberbaudirektor Werner Hebebrand stellt die City Nord eine Weiterentwicklung historischer Freiraumkonzepte wie der des Volksparks, der Gartenstadt und der autogerechten Stadt zur „Bürostadt im Grünen“ dar. Dem Hamburger Gartenarchitekten Günther Schulze gelang es in den Freiräumen, eine über Jahrzehnte verfolgte Planungsidee von der Entwurfsphase bis zur Fertigstellung weiter zu entwickeln, und dies nicht nur auf öffentlichen, sondern auch auf vielen privaten Flächen.

Die künstlerische Leistung Schulzes bestand in einer schlüssigen Weiterentwicklung des Hebebrandschen Konzepts in einer sich gestalterisch klar von der genannten Tradition distanzierenden Formensprache, die angesichts der Heterogenität der umgebenden Bebauung die Formulierung einer zentralen Zone erforderte, die dieser Monumentalität Zusammenhalt, grünes Volumen und grüne Fläche entgegenzusetzen hatte. Schulzes Gestaltung ist umso mehr zu würdigen, als er sich damit auch vom eigenen Stil trennte: Vom 120-Grad-Winkel, der die Anlagen in „Planten un Blomen“ der IGA 1963 ausgezeichnet hatte, welche ihm zum Durchbruch als freier Landschaftsarchitekt verholfen hatten. Konsequent hielt er an der hier gefundenen Formensprache fest, auch angesichts der Abkehr vom zunächst zentralen Element der Wasserachse, welche einen tiefen Einschnitt in die Konzeption bedeutet hatte. Er griff in der kräftigen Bodenmodellierung aber auch aktuelle Tendenzen der Freiraumplanung auf.

Insbesondere die fast vollständige Funktionstrennung zwischen motorisiertem und fußläufigem Verkehr, die sich in Kreuzungspunkten in einer konsequenten Verlagerung des Fußgängerverkehrs auf Brücken ausdrückte und ihr Pendant in der Ebene 1 der Geschäftszone fand, dürfte in dieser Flächengröße auch Deutschlandweit singulär sein.

Die 60-minütige Führung können Sie für bis zu 25 Personen buchen.
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Romantik am Wasser: Wesselhoeftpark & Quellental

  

Der Wesselhoeftpark ist ein kleines Park-Schmuckstück, das wegen seiner geringen Größe und seiner versteckten Lage kaum bekannt ist. Mit zwei Teichen und vielen eindrucksvollen Gehölzen und inmitten einer einmaligen Talsituation gelegen ist dieser ehemalige Privatpark aber etwas ganz Besonderes. Unmittelbar benachbart liegt das „Quellental“, einst Teil der Besitzungen des Parkomanen Caspar Voght und sein liebster Ort.

Die 90- bis 120-minütige Führung können Sie für bis zu 25 Personen buchen.
Hier geht’s zum Kontakt

Fachartikel: Der Dulsberger Grünzug

„mit einer Art innerem Staunen“
Der Dulsberger Grünzug als Zusammenwirken genialer Planung & unvorhersehbarer Geschehnisse

Der bogenförmige Grünzug des Dulsbergs sticht als markante Figur mit hohem Wiedererkennungswert auf jeder Karte und jedem Luftbild hervor. (Abb 1) Wer vor Ort die weitläufigen Wiesenflächen erreicht, spürt wohl, dass er ins Zentrum des Quartiers gelangt ist. Und möchte ausrufen, dass Baudirektor Schumacher nicht umsonst gerungen hat um diesen Ort!

Als „auffällig unauffällig“ wurde Dulsberg andererseits schon vor Jahrzehnten charakterisiert. Und auf den zweiten Blick mag auch etwas Ernüchterung folgen. Auf geschlossenen Wiesenflächen wechseln ausgewiesene Grillzonen mit eingestreuten Spielplätzen, einer Streetballanlage, einem Rosengarten, einer Hundewiese; die umgebenden Rotklinkerfassaden verschwinden weitgehend hinter – bisweilen durchaus markanten – Baumgestalten; und doch will sich der Eindruck des Besonderen nicht ohne weiteres einstellen.

Grund dafür ist eine Reihe gestalterischer und funktionaler Brüche, die das Areal in seiner über 100-jährigen Geschichte erfahren hat. Eine eigene Faszination vermögen sie aber erst bei genauerer Betrachtung zu entfalten:

 

Weltanschauung im Garten

Bereits der erste Bebauungsplan für den Dulsberg aus dem Jahre 1903 wies in einem ansonsten eng bebaubaren Quartier zwei Grünflächen auf. (Abb. 2) Eine kleinere an der heutigen Probsteier Straße, die als Spielplatz dienen sollte und auch als solcher realisiert wurde. Und eine größere, im Schnittpunkt der geplanten Hauptstraßen gelegen: Eine von Wegen ornamental gegliederte Rasenfläche mit locker verteilten Gehölzpflanzungen und platzartigen Aufweitungen – eine davon als Kirchplatz vorgesehen. Diese Schmuckanlage im spätlandschaftlichen Stil des 19. Jahrhunderts sollte allenfalls gemessenen Schrittes durchwandelt, sicher nicht durch die Nutzer „in Besitz genommen“ werden. Die damals laut werdenden Rufe nach Benutzbarkeit und einer neuen Formensprache öffentlicher Parks schätzte Planverfasser Eduard Vermehren (1847–1918), von 1901–1907 Oberinspektor des Ingenieurwesens und ein Gestalter der alten Schule, offenbar wenig.

Angesichts dieses ersten Bebauungsplans schien es dem seit 1909 als Hamburger Baudirektor amtierenden Fritz Schumacher (1869–1947) nicht nachvollziehbar, dass ein Gebiet mit der Einwohnerzahl einer Kleinstadt nur einen einzigen Grünfleck „unbegreiflicherweise mitten im Zug einer Ausfallstraße“ haben sollte. Im Gegensatz zu Vermehren stand Schumacher progressiven Kräften in Architektur und Gartenkunst nahe, für die in öffentlichen Gärten nicht Repräsentation, als vielmehr ein unmittelbarer sozialer Nutzen im Vordergrund stehen sollte: für Sport, Kinderspiel oder auch als Versammlungs- oder Picknickplatz.

Diese Überlegungen beförderten eine neue, als „Reformgartenkunst“ bezeichnete Ästhetik, die ihre Nähe zum Hochbau nicht verbarg: Stolz nannten sich Gartenkünstler nun „Gartenarchitekten“, planten Grünanlagen wie Zimmer eines Hauses als Funktionsräume von geometrischem Zuschnitt. Umgekehrt war seitens des Hochbaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Annäherung zur Gartenkunst zu verzeichnen: Inspiriert vom Prinzip des aus England kommenden „Garden City Movement“ entwarfen in den 1910er Jahren auch deutsche Stadtplaner Siedlungen mit großzügigen zentralen Grünanlagen. Diese „Innenparks“ sollten das gestalterische und ideelle Kernstück modernen Siedlungswesens darstellen und eine physisch und psychisch gesunde Generation von Stadtbewohnern bilden helfen. Diesem Anspruch sollte nun auch der Dulsberg genügen.

 

Schumacher als Stratege

Hatte Schumacher bereits die Reform des Kleinwohnungsgesetzes 1918 durch Publikationen strategisch geschickt befördert und durch Bekanntmachungen flankiert (Hipp 2009), so scheint er auf dem Dulsberg mithilfe der „Patriotischen Gesellschaft von 1765“ nicht weniger geschickt agiert zu haben. Die Patriotische Gesellschaft ist ein von Hamburger Bürgern getragener gemeinnütziger Verein, der sich seit der Aufklärung für Verbesserungen im öffentlichen Sektor einsetzte: Die Einführung des Kartoffelanbaus und des Blitzableiters in Hamburg, die Gründung der ersten Sparkasse in Europa sowie die Gründung öffentlicher Bücherhallen und Museen gingen auf die bis heute bestehende Gesellschaft zurück. Mit Blick auf Dulsberg suchte der gesellschaftseigene „Ausschuss für das Siedlungswesen“ 1917 in Gesprächen mit Schumacher und der Baudeputation zu klären, wie sich „die Kleinwohnung für die minderbemittelte Bevölkerung“ durch Einzelhäuser oder maximal dreigeschossige Mietshäuser wirtschaftlich bauen ließ, ohne auf die geschmähten „Mietskasernen“ zurückgreifen zu müssen.

Der Ausschuss war mit engagierten Fachleuten wie Dr. Knauer, Rudolf. Bendixen und E. Neue sowie dem Architekten Hugo Groothoff (1851–1918) besetzt. Dennoch kritisierte Schumacher diesen Vorstoß als „uferlosen Idealismus“. Aber die Forderungen der Patriotischen Gesellschaft kamen ihm sicher nicht ungelegen, unterstützten sie doch seinen Wunsch nach vollständiger Überarbeitung des alten Bebauungsplans. Der von der Patriotischen Gesellschaft überarbeitete Bebauungsplan ähnelte Schumachers wenig später vorgelegter Lösung zudem auffallend (Abb. 3) und legt die Vermutung nahe, Schumacher habe Einfluss genommen, um möglichst große Übereinstimmungen mit seinen eigenen Vorstellungen zu erzielen.

 

Der 1917 verabschiedete neue Bebauungsplan ließ den zentralen Grünzug bogenförmig nach Südosten schwenken und schuf damit Raum für eine kreuzende, Spielplätzen gewidmete Grünachse. Im unmittelbaren Umfeld des Grünzugs hatte Schumacher die Bauhöhe „herabgezont“ –  überwiegend auf drei Geschosse reduziert – was einen organisch wirkenden Übergang von den Vegetationsflächen zu den weiter entfernten, maximal fünfgeschossigen Baukörpern schuf.

Der Schöpfer zeigte sich angesichts der Entwicklung der eigenen Gestaltungsprinzipien selbst überrascht: „Ich merkte mit einer Art innerem Staunen, dass ich eine neue Sprache beherrschte […].“ (Schumacher, Stufen des Lebens)

Dass es gelungen war, trotz Herabzonung noch Platz für einen weitläufigen Freiraum für Erholung und soziale Interaktion zu generieren, vermerkte Schumacher später stolz: Es möge „im ersten Augenblick wie ein Wunder“ erscheinen, belege aber, dass man städtebauliche Ziele durch Überlegung erreichen kann, wenn man nur genügend große Flächen und „wirkliche Bewegungsfreiheit“ habe. (Abb 4)

 

Der Gartendirektor zieht die Register

Die Ausgestaltung des Grünzugs oblag dem seit 1914 amtierenden Hamburger Gartendirektor Otto Linne (1869–1937). Der mit Schumacher gleichaltrige und ebenfalls aus Bremen stammende Linne war bereits Gartendirektor in Erfurt und Essen gewesen, bevor er in Hamburg mit einem Arbeitsberg überhäuft worden war: Die Umgestaltung ehemals privater Parks zu öffentlichen Grünanlagen, die Modernisierung bestehender Grünanlagen und die Schaffung neuer Parks und Spielplätze lag in seinen Händen (Abb. 5). Mit Schumacher hatte er bereits bei der kontrovers diskutierten Gestaltung des Hamburger Stadtparks hervorragend zusammengearbeitet. Seit 1919 oblag ihm zusätzlich die Leitung des Hauptfriedhofs Ohlsdorf, dessen großer östlicher Erweiterungsteil hauptsächlich auf seine Planung zurückgeht. Mit dem ersten Bauabschnitt im Südwesten Dulsbergs nahm ab 1921 nun auch der Grünzug unter seiner Leitung Gestalt an.

Der Reformgartenkünstler Linne definierte den Grünzug in Teilabschnitten unterschiedlicher Funktionen (Abb. 6): Ein großer Spielrasen und ein weitläufiger Sandspielplatz, blumengeschmückte „Alte-Leute-Gärten“ und „Erzählersenken“ – ungefähr halbrunde, flache Rasentribünen mit formalen Heckeneinfassungen; dazu interpretierte Linne die Spielplatzachse sportlich, mit Rasensportfeldern und einer „Kampfbahn“. Unangefochtener Höhepunkt des Ensembles war ein Planschbecken, dass im Sommer von Kindern wimmelte: Ein kleiner Stadtpark im Quartier! (Abb. 7)

Indem Linne die von flachen Wiesen- und Sandflächen bestimmten Teilräume untereinander, vor allem aber gegen die umgebende Bebauung mit regelmäßigen Baumreihen und Hecken absetzte, führte er die Herabzonung der Architektur in der Vegetation fort. Und hatte Schumacher durch den bogigen Verlauf des Grünzugs dafür gesorgt, dass keine schier endlosen Raum- oder Straßenachsen entstünden, ließ nun die fast perfekte Spiegelsymmetrie der Einzelgärten den Eindruck einer Mittelachse des gesamten städtebaulichen Ensembles entstehen: Ein selten erreichtes Ineinandergreifen von Städtebau und Gartenarchitektur.

Nach Linnes Pensionierung im Jahr 1933 – vermutlich wegen politischer Differenzen mit dem NS-Regime – geriet die Fortführung des Grünzugs bis zur damaligen Landesgrenze nach Wandsbek ins Stocken. Die bis dahin geschaffene Gestalt war indessen eindrucksvoll genug und bestand bis in die Jahre des Zweiten Weltkriegs.

 

Alles auf Null

Sogar nach den Flächenbränden vom Juli 1943 zeigte sich der Grünzug in seinem Baumbestand erstaunlich geschlossen (Abb.8). Erst die kalten Nachkriegswinter ließen die Bäume als Heizmaterial in Notwohnungen und in den blechernen „Nissenhütten“ verschwinden, die auf der großen Wiese an der Vogesenstraße errichtet worden waren. Zusätzlich wurden die Binnenstrukturen des Grünzugs durch privaten Gemüseanbau der Bewohnerschaft überformt und südlich der „Kampfbahn“ eine Trümmeraufbereitungsanlage errichtet: Im Grünzug bildete sich die „Stunde Null“ der Gesellschaft ab (Abb. 9).

Weit entfernt davon, die vernichtete Gartenarchitektur der Vorkriegszeit wiedererstehen zu lassen, entwickelte die nach dem Krieg eingerichtete Gartenbauabteilung des Bezirks Hamburg-Nord unter ihrem Leiter Werner Töpfer ein völlig konträres Konzept: Zusammenhängende und weitläufige Wiesenflächen, eingefasst von landschaftlichen Gehölzpflanzungen, sollten von nun an die Anlage bestimmen. Als seien sie aus alten Feldwegen hervorgegangen, querten kurze Fußwege in aufgelockerten Verlauf die Wiesenflächen, ähnlich der Idee des „aufgelockerten Städtebaus“ dieser Zeit. Eine kleine heile Welt, die mit den strengen Formen der Vorkriegszeit brechen und einen Neuanfang für eine offene Gesellschaft versuchen wollte Abb. 10).

Von den alten Funktionsräumen überlebte nur das Planschbecken – ergänzt mit einem rahmenden Belag aus Betonplatten und Asphalt – wie eine Insel im weiten Wiesenstreifen (Abb. 11).

Zusätzlich aber schuf Töpfer auf dem Platz der ehemaligen Trümmeraufbereitungsanlage einen neuen und modernen Spielbereich. Mit erkennbarem Stolz erläuterte er, dass die „in Form einer eingedrückten ‚8‘ angelegt(en)“, 225 Meter langen Fahrbahnen „wie auf der Autobahn“ voneinander getrennt verliefen. Mithilfe eines Tunnels werde zudem ein kreuzungsfreier Verkehr gewährleistet. Der dabei entstandene 2,50 Meter hohe Abfahrtshügel werde von den Kindern eifrig genutzt, die „mit den Rollern schneidig heruntergefahren“ kämen und „mit Eleganz in die Kurve“ gingen (Abb. 12). Von nah und fern kämen die Kinder „zu diesem neuartigen Spielplatz“.

 

Spielraum Stadt & Kulturdenkmal

Zwischen den 1960er und -90er Jahren musste die Siedlung mit einer sich wandelnden Sozialstruktur seiner Bewohner fertig werden. Es ging die Rede von Armut, Kriminalität und Verwahrlosung, die sich auch im öffentlichen Grün zeigte. In den 1990er Jahren mehrten sich zudem hamburgweit Klagen, dass Kinder und Jugendliche ihre Spielplätze sogar dann kaum annähmen, wenn diese frisch saniert waren (Baumgarten 1997). Eine neue Planergeneration begriff ihre dringendste Aufgabe daher häufig nicht mehr in der Schaffung flächendeckend durchgestylter Freiräume „am grünen Tisch“. Die Zeit spektakulärer Neuschöpfungen war abgelaufen. Auf dem Dulsberg fokussierten die Planer stattdessen auf eine Einbindung der Nutzer in Planungsprozesse (Abb. 13), in Bewusstseinsbildung und pragmatische, oft punktuell wirksame Lösungen (Spalink Sievers 1997) sowie auf die Vernetzung öffentlicher und institutioneller Grünflächen zum „Spielraum Stadt“. Stellvertretend für diese Planungsansätze stehen die in den Jahren 1999–2000 erfolgte Umwandlung des inzwischen funktionslosen Planschbeckens in ein Streetballfeld,die Schaffung eines benachbarten Freiraum-Jugendtreffs und nicht zuletzt die Einrichtung eines Mädchenspielplatzes an der dem Grünzug benachbarten Schule Alter Teichweg .

 

Auffällig unauffällig? Bei näherer Kenntnis dürfte sich dieser Eindruck wandeln, denn zweifellos: Es war ein großer Wurf, der hier in den 1920er Jahren auch grünplanerisch gelang. Wäre die damals geschaffene Gartenarchitektur noch ansatzweise vorhanden, es genügte wohl, den immerwährenden Ruhm des Grünzugs zu begründen…

Dass es anders kam und eine nach dem verheerenden Krieg sich unversehens demokratisch verstehende Gesellschaft in den 1950ern Tabula rasa machen, dass die in den 1990er Jahren „abgespielte“ Anlage erneut einem gewandelten Selbst- und Gesellschaftsverständnis der Planer und Nutzer angepasst werden würde: Wer hätte es vorhersehen können? Gegen die ambitionierten freirauplanerischen Gesamtlösungen der 1920er und auch der 1950er Jahre wirkten gesamtgesellschaftliche Geschehen: erdrutschartig ab 1943, ab den 1960er Jahren langsam und stetig, übten sie erheblichen Veränderungsdruck aus, der auch eine besondere Anlage wie die auf dem Dulsberg langfristig zu nivellieren drohte. Doch trotz aller gestalterischer und funktionaler Ungereimtheiten im Detail macht eine Stärke der Anlage aus, dass sie sich im Großen so trotzig unbeeindruckt erhalten hat.

Eine neue Zeit produziert auch für ihre Grünanlagen neue, zeittypische Herausforderungen, die mit Geburtenrückgang, Stadtwachstum und Denkmalschutz nur angedeutet sein mögen. Gerade diese nunmehr 100-jährige Bedarf- und Reaktions-Schichtung aber macht den Dulsberg aus. Er wäre mit gewissem Recht als Abbild unserer jüngeren Gesellschaftsgeschichte zu bezeichnen. Je suis Dulsberg!

 

 

Literatur

Baumgarten, Heiner: Konzeption „Spielraum Stadt“ für Hamburg, in: stadt+grün, Jg. 46 (1997) H. 5, S. 299–304, S. 301

Hipp, Hermann: Wohnstadt Hamburg : Mietshäuser zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise. Neuausgabe mit aktuellen Beitr., Berlin 2009, S. 13

Schumacher, Fritz: Das Werden einer Wohnstadt : Bilder vom neuen Hamburg, Hamburg 1932

Schumacher, Fritz: Stufen des Lebens : Erinnerungen eines Baumeisters, 1935

Spalink-Sievers, Johanna: Spielraum Stadt : Untersuchungsgebiet Dulsberg-Nord. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, Hannover 1996

Spalink-Sievers, Johanna: Freiflächen-Entwicklungskonzept Dulsberg, in: stadt+grün, Jg. 46 (1997) H. 5, S. 305–310, S. 307f

Staatsarchiv Hamburg, Baudeputation B987, Bau einer Kleinwohnungssiedlung auf dem Dulsberggelände 1917-1926. Abschrift im Hamburger Denkmalschutzamt, Inv-Nr. 500002036

Töpfer, Werner: Aus Trümmeraufbereitungsanlage wird eine Rollerbahn, in: garten und landschaft, Jg. 64 (1954), S. 17

150 Jahre Friedhof Diebsteich in Hmb.-Altona

Volksparkachse, Fernbahnhof & das grüne Gedächtnis der Stadt

   

Der Vortrag im Rahmen der Jubiläumsfeier in der Friedhofskapelle am 23. September 2018 behandelte die historische Konzeption dieses frühesten erhaltenen Parkfriedhofs in Hamburg und die Herausforderungen, die sich im Rahmen aktueller städtebaulicher Konzepte ergeben.

30. Juni 2019: Grünzug Dulsberg

Die reformgartenkünstlerische Konzeption nach Linne und Schumacher und ihre Überformung in der Nachkriegsmoderne

 

Führung im Rahmen des Tags der Architektur und Ingenieurbaukunst in Hamburg
am Sonntag, 30. Juni 2019

100 Jahre Grünzug Hamburg-Dulsberg

Öffentlicher Vortrag zum Tag der Städtebauförderung am 5.5.2018 in der Emil-Krause-Schule in Dulsberg

  

Der Vortrag behandelt die städtebauliche Konzeption der Dulsberg-Siedlung in Hamburg-Barmbek mit dem Schwerpunkt auf die Freiraumkonzepte unter Otto Linne und Werner Töpfer.

Der Wallringpark und die Moderne

Lederer, Schumacher, König und die Niederdeutsche Gartenschau 1935

  

Diese etwa zweistündige Führung können Sie für bis zu 25 Personen buchen.

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Die letzte Führung fand zum Tag der Architektur und Ingenieurbaukunst, veranstaltet von der Hamburgischen Architektenkammer, am 30. Juni 2019 statt.