Der Hirschpark in Hamburg-Dockenhuden erhielt seinen Namen durch die Anlage eines Hirschgatters im Privatgarten einer Kaufmannsfamilie in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute zählt der Park mit seinem Damwildbestand, einer doppelreihigen Lindenallee und einem riesigen Bergahorn zu den bekanntesten Grünanlagen der Hansestadt. Beispielhaft lassen sich in ihm verschiedene Gestaltungsphasen zwischen einem spätbarocken Bürgergarten und einer öffentlichen Parkanlage ablesen.
Seit dem 18. Jahrhundert ist die landwirtschaftliche Nutzung der sandigen Geestlandschaft auf dem Gebiet des späteren Hirschparks unter verschiedenen Eigentümern belegt. [1] Doch erst mit der Arrondierung einzelner Flurstücke zu einem zusammenhängenden Landbesitz unter dem Kaufmann Johann Berend Rodde (1720-1786) scheint eine erste Ziergartenanlage größeren Ausmaßes entstanden zu sein. Anzeichen für diesen Bürgergarten sind auf einer 1789 aufgenommenen Verkoppelungskarte von Dockenhuden in einigen linearen Gehölzstrukturen zu erkennen. Reste aus dieser Zeit finden sich wohl im Bauernhaus, in den Lindenpflanzungen und einem alten Eichenhain.
Repräsentativer Landsitz im empfindsamen landschaftlichen Stil
„Wer nicht in deinem Schoos, Natur!
Auf Weisheit sinnt, Empfindung thränt
Zu Gott sich hebt und Freunde sehnt,
Der liebt Dich nicht, er nennt Dich nur.“
(Inschrift im Hirschpark um 1792) [2]
Von Roddes Erben erwarb der Hamburger Kaufmann Jean César IV. Godeffroy (1742-1818) das Gelände und ließ darauf von dem noch wenig bekannten Architekten Christian Frederick Hansen (1756-1845) ein klassizistisches Landhaus errichten. In seiner Frühphase wurde der Garten von Besuchern wegen seiner attraktiven Aussichten auf die Elbe, das Dorf Dockenhuden und das Mühlenberger Tal sowie auf den benachbarten Landsitz des Pierre Godeffroy (1749-1822) aufgesucht. Zeitgenössische Beschreibungen des Gartens als „schweizerisch“ und romantisierende Inschriften an einer Gartenlaube [3] sowie am Herrenhaus („Der Ruhe weisem Genuss“) deuten auf einen landschaftlichen Garten im sentimentalen Stil.
Inschrift im Landhaus Godeffroy (Foto: Schnitter, 2015)
Ergänzungen im ‚klassischen’ landschaftlichen Stil
In der folgenden Generation ließ Johan César V. Godeffroy (1786-1845) von Alexis de Chateauneuf (1799-1853) um 1835 ein Gärtnerhaus errichten. Die früheste Ansicht des Herrenhauses und einige Lagepläne lassen einen landschaftlichen Park erkennen. Ein am Parkrand verlaufender beltwalk mit Ausblicken auf die umgebende Landschaft und offene Wiesen- und Wasserflächen in der Parkmitte erinnern an die damals populären, „klassischen“ Gestaltungen eines Lancelot Brown in England oder eines Joseph Jaques Ramée (1764-1842) in Hamburg. [4]
Ergänzungen im Stil von Biedermeier und Reformgartenkunst
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich sowohl biedermeierliche Partien als auch Reformgartenelemente ausmachen. 1873 wird eine „erst in neuerer Zeit entstandene Gartenanlage im französischen Styl“ mit Teppichbeeten unweit des Herrenhauses erwähnt. [5] Es handelt sich bei dieser Anlage vermutlich um den sogenannten ‚französischen Garten’ oder ‚Antikengarten’, dessen Reste sich bis heute erhalten haben. [6]
Die Anlage des Lindenplatzes mit einer Freitreppe und zwei Hirschskulpturen sind erst nach der Jahrhundertwende entstanden und heute nicht mehr vorhanden. Die heute ausgedehnten Rhododendronpflanzungen soll César VI. veranlasst haben. [7] Im Bereich nördlich des alten Gärtnerhauses bestanden eine Reihe von Gewächshäusern und ein Gemüsegarten. Wahrscheinlich datiert das architektonisch ungewöhnliche Futterhaus aus dieser Phase. Unter dem jagdbegeisterten Johan César VI. Godeffroy (1813-1885) entstand um 1860 auch ein Rehwildzwinger im Park. [8]
Nach der Zahlungseinstellung des Handelshauses Godeffroy wurde der Besitz 1889 an den Industriellen und Gartenenthusiasten Ernst August Wriedt (1842-1923) veräußert. Zahlreiche Postkarten des ‚Französischen Gartens’ aus dem frühen 20. Jahrhundert belegen, dass dieser Gartenteil mit seinen wechselnden Blumenarrangements ebenso wie der Hirschzwinger ein beliebtes Ausflugziel gewesen ist. Nach Wriedts Ableben erstand 1921 der Rigaer Holzindustrielle Ferdinand Nather (1871-1924) das Anwesen, verbrachte dort aber nur ein Jahr bis zu seinem vorzeitigen Tod im Februar 1924. [9]
Umbau zur öffentlichen Parkanlage
1924 erwarb die Stadt Altona den Hirschpark. Gartendirektor Ferdinand Tutenberg (1874-1956) entwarf einen Umgestaltungsplan, der die südliche Parkerschließung, einen Spielplatz unterhalb des ‚französischen Gartens’, einen repräsentativen Zugangsplatz zum Hirschgatter sowie einen geometrischen Blumenschaugarten mit einer zentralen Pergola am Nordrand enthielt. Zur Finanzierung von Erwerb und Umgestaltung erfolgte die Parzellierung und Freigabe des östlichen Parkteils zur Wohnbebauung.
Das Wegesystem erweiterte Tutenberg an Kreuzungspunkten zu kleinen Rundplätzen und ließ die große Lindenallee mit kleinen Nachpflanzungen weiterführen. Zwischen 1924 und 1929 entstand mit einer achsial auf die neue Parkmitte bezogenen Treppenanlage (‚Hirschtreppe’) erstmals ein Zugang vom Elbuferweg über die Geestkante zum Park. Ziel war offenbar die Erschließung für eine größere Öffentlichkeit.
Zur Entwässerung der sogenannten „Hirschweide“ erfolgte 1929 eine Verlagerung des Damwildes auf die südlich gelegene ‚Spielweide’. [10] Mit dieser Verlegung des Hirschgatters und der Schließung des Hirschparkwegs wurde die südliche Brücke über den Teich obsolet.
In der Nachkriegszeit fungierte das alte Landhaus als Schule für die Kinder der Alliierten und wurde erst 1958 an die Gartenbauabteilung Altona übergeben. [11] In den folgenden Jahrzehnten wurden die inzwischen maroden eisernen Antikenrepliken des „Französischen Gartens“ entfernt und durch eine Plastik der ‚Flora’ ersetzt, die heute ebenfalls nicht mehr besteht. Die einst üppige Bepflanzung dieses Gartenteils wich einfachen Sommerblumenstreifen. Die Lindenterrasse mit ihrer massiven Treppe und den beiden metallenen Hirschplastiken wurden ebenso rückgebaut wie die zentrale Treppe zum Elbuferweg. [12] In den 1980er Jahren entstand ein buchsgerahmter „Bauerngarten“ am nun gastronomisch genutzten Bauernhaus ‚Witthüs Teestuben’.
Das Zusammenspiel zwischen diesem attraktiven Naturraum mit seiner am Rande des Elbstrands steil aufragenden Geestkante und den historischen Gestaltungselementen verleiht dem Hirschpark sein besonderes Gepräge. Vom Elbuferhöhenweg bieten sich den oft zahlreichen Besuchern weite Blicke über das Elbtal und hinüber zu den gegenüberliegenden Geesthängen der Harburger Berge. Auf dem hochgelegenen Plateau wechseln dichte Buchenbestände mit weiten Wiesenflächen, kontrastieren üppige Rhododendronbestände mit der barock anmutenden Lindenallee, während ein ausladendes Rasenoval den Blick auf das repräsentative Landhaus freigibt.
Die Bedeutung der Parkanlage
In dem seit 2003 denkmalgeschützten Park, der zu den frühesten Landschaftsparks an der Elbe zählt, sind viele Elemente erhalten, in denen sich die Stilgeschichte der Gartenkunst seit dem frühen 19. Jahrhundert abbildet. Eine Überarbeitung dieser verschiedenen Elemente zu einem stilistisch einheitlichen Ganzen ist zu keiner Zeit erfolgt. Eindrucksvollstes Beispiel hierfür ist die große Lindenallee, die seit der Errichtung des Hansenschen Herrenhauses „herrlich sinnlos … in der Landschaft steht“. [13] Der Hirschpark zeugt vom Wirken seiner Besitzer, die als gartenkünstlerische Amateure den Garten über Generationen nach dem jeweiligen Zeitgeschmack ergänzt haben. Hinter einem überregional bedeutenden Gesamtkunstwerk wie der etwa zeitgleich entstandenen ‚ornamented farm’ Caspar Voghts in Flottbek besitzt der Hirschpark als Einzelobjekt nur regionale Bedeutung. Im Zusammenhang mit dem Ensemble Godeffroyscher Parkbesitzungen in unmittelbarer Nachbarschaft wie der von 1855 bis 1935 bestehenden Besitzung ‚Beausite’ von Gustav Godeffroy (1817-1883), [14] der bis heute bestehende Besitzung ‚die Bost’, die nach Joseph Ramée auch von Richard Godeffroy (1798-1864) bewohnt wurde, [15] sowie dem Park um das noch existierende ‚Weiße Haus’ von Pierre Godeffroy, [16] bildete der Hirschpark die zentrale Anlage. Rechnet man dazu die ausgedehnten Landbesitzungen Johan César VI. Godeffroy hinzu, so war der Hirschpark Zentrum eines bedeutenden Park- und Forstensembles. Als wesentlicher Teil der Parkanlagen an der Hamburger Elbchaussee besitzt der Hirschpark überregionale Bedeutung.
An der Verstaatlichung des Hirschparks zeigt der Park beispielhaft die Städtebaupolitik Altonas der 1920er Jahre. Mit Hilfe der vom Altonaer Bürgermeister Max Brauer (1887-1973) und Städtebauer Gustav Oelsner (1879-1956) betriebenen Eingemeindung der Elbvororte sollte Altona aus dem wirtschaftlichen Schatten Hamburgs heraustreten. Oelsner entwarf für Altona das Image einer Stadt im Grünen und forderte den Erhalt der großen privaten Landschaftsparks in den Elbvororten, denen die Parzellierung in Villengebiete drohte. [17] Die Teilparzellierung des Hirschparks kann als Zugeständnis an die sich gegen die Eingemeindung sträubenden Elbgemeinden gedeutet werden und war Teil des Finanzierungskonzepts.
Mit dem Landhaus, dem Strohdachhaus und dem Futterhaus beherbergt der Hirschpark drei architekturgeschichtlich bedeutende Gebäude. Das zwischen 1789 und 1792 errichtete Landhaus (Elbchaussee 499 b) war das früheste der zweiundzwanzig Hansen-Bauten für das Bürgertum im Hamburger Raum. [18] Das Strohdachhaus (Elbchaussee 499 a) ist trotz baulicher Veränderungen als ehemalige Hofstelle ein wichtiges Zeugnis der bäuerlichen Kultur der westlichen Elbvororte. Als Futterhaus ist das Holzgebäude auf der Hirschweide in seinem rustikal und bunt verspielten Baustil ein seltenes Relikt des 19. Jahrhunderts. Im Rahmen der Forschungen für das Pflege- und Entwicklungskonzept konnte zudem belegt werden, dass das Chateauneuf’sche Gärtnerhaus nicht wie bisher angenommen abgerissen wurde, sondern sich in den Kellergewölben und den Mauern des Erdgeschosses im Haus Elbchaussee 491 erhalten hat. [19]
Die personengeschichtliche Bedeutung des Parks beruht vor allem auf der Familie Godeffroy. Ihre Geschichte wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zusammengestellt [20] und erschien 1998 in Romanform. [21] Neben den Gartengestaltern Joseph Ramée, Daniel Louis Jacob und Claude Rainville waren Godeffroys um 1800 für die Gartenkunst im Hamburger Raum wohl die wichtigsten französischen Emigranten. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass der Schriftsteller Hans Henny Jahnn (1894-1959) in den 1950er Jahren bis zu seinem Tod das Bauernhaus im Hirschpark bewohnte. An Jahnn, der als Orgelbauer von Weltruf, erfolgreicher Hormonforscher und singuläre Erscheinung der deutschen Prosa gilt, erinnert heute ein in die Giebelwand eingelassener Gedenkstein. [22]
Nach der Neuinterpretation des Antikengartens mit einer neuen Brunnenanlage und ornamentaler Beetbepflanzung folgte 2014 die Wiederherstellung einer großzügigen Wiesenfläche südlich des Landhauses und die Anlage eines neuen Spazierwegs an der Böschungskante.
[1] Richard Ehrenberg, Aus der Vorzeit von Blankenese und den benachbarten Ortschaften Wedel, Dockenhuden, Nienstedten und Flottbek; Hamburg 1972, S. 94-96; Gustav-Adolf Raben: Der Hirschpark, seine historische Entwicklung, unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o.J. [Hamburg, ca. 1993, im Denkmalschutzamt Hamburg].
[2] Friedrich Theodor Nevermann, Almanach aller um Hamburg liegenden Gärten, Hamburg 1792, S. 8.
[3] Ebenda
[4] Vgl. Ingrid A. Schubert, „… und er gestaltete überdies all die ausgedehnten Parks und Gärten in der Umgebung dieser blühenden Stadt.“, in: Joseph Ramée: Gartenkunst, Architektur und Dekoration. Ein internationaler Baukünstler des Klassizismus; Hg. Bärbel Hedinger u. Julia Berger, München/ Berlin 2003, S. 37-59.
[5] Drei Tage in Hamburg, Hamburg 1873, S. 69.
[6] Ebd., S. 68.
[7] Maike Holst, Die Botanik im Hirschpark: Majestätische Würde, prachtvolle Schönheit, in: Der Hirschpark (= Hamburger Klönschnack, Nr. 1), Hamburg. o.J., S. 14-25, hier S. 23.
[8] Hans Walden, Stadt – Wald: Untersuchungen zur Grüngeschichte Hamburgs, Hamburg 2002 (Beiträge zur Hamburgischen Geschichte; Bd. 1, Hg.: Burghart Schmidt/ Hans Walden) Hamburg 2002, S. 358ff.
[9] Ronald Holst, Diesmal war es nicht der Gärtner. Mord aus Eifersucht oder Die Liebe höret nimmer auf, in: Der Hirschpark (= Hamburger Klönschnack, Nr. 1), Hamburg. o.J., S. 46-49.
[10] Norddeutsche Nachrichten/ Altonaer Anzeiger, Freitag, den 22. März 1929, Nr. 69, Erste Beilage, 51 Jahrgang: Ein Besuch bei unserm Gartenbaudirektor Tutenberg.
[11] Winfried Grützner, Zwei Dörfer: Der Zusammenschluß von Blankenese und Dockenhuden am 19. März 1919, in: Der Hirschpark (= Hamburger Klönschnack, Nr. 1), Hamburg. o.J., S. 13.
[12] Vgl. Luftbilder im Staatsarchiv Hamburg: Streifen 5 No 77, Film Nr. 14, Bild Nr. 1071 vom 06. Mai 1952 sowie Film 5, Bild 209; Film 5 Bild 210; Film 5, Bild 211; vom 15. Okt. 1963.
[13] Grützner, Zwei Dörfer, S. 10.
[14] Vgl. Paul Th. Hoffmann: Die Elbchaussee: Ihre Landsitze, Menschen und Schicksale, Hamburg 1937, S. 221-227.
[15] Ebd., S. 233.
[16] Ebd., S. 249-257.
[17] Zitiert nach Christoph Timm, Gustav Oelsner und das neue Altona: Kommunale Architektur und Stadtplanung in der Weimarer Republik, Hamburg 1984, S. 116f.
[18] Judy Brose, Baumeister im Grünen: „Der Ruhe weisem Genuss“, in: Der Hirschpark (= Hamburger Klönschnack, Nr. 1), Hamburg. o.J., S. 66-73, hier S. 71.
[19] Renata Klée Gobert, Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg, Bd. II: Altona – Elbvororte, Hamburg 1953, S. 225.
[20] „Die Godeffroÿs: Familiengeschichte von Oscar Godeffroÿ“ [Hamburger Staatsarchiv, 622-1/27: Carl v. Godeffroy: XIV 11]
[21] Gabriele Hoffmann, Das Haus an der Elbchaussee: Die Godeffroys – Aufstieg und Niedergang einer Dynastie. Regensburg 1998.
[22] Vgl. Helmut Schwalbach, Suche nach dem Unbequemen: Hans Henny Jahnn: “Ich bin kein Museum“, in: Der Hirschpark (= Hamburger Klönschnack, Nr. 1), Hamburg. o.J., S. 38-41.