Warburg-Park

I.      Vorgeschichte

1794 hatte der Hamburger Auktionator Hinrich Jürgen Köster (1748-1805) die heidebewachsenen Erhebungen „Baven Groot Notenberg“ und „Baven Both Stieg Berg“ im heutigen Hamburg-Blankenese aus öffentlicher Hand erworben und darauf ein einfaches, strohgedecktes [1] Landhaus mit einem weitem Rundblick erbaut.[2] In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dort eine Gastwirtschaft betrieben.[3] Unter den folgenden Besitzern ist der Altonaer Kaufmann[4] Johann Carl Semper zu nennen, ein Bruder des Architekten Gottfried Semper. Unter Johann Carl Semper wurde das Gelände ab 1856 mit wertvollen Bäumen, Rhododendren und Findlingsgruppen parkartig gestaltet.[5]

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Römischer Garten 2006 (Foto: Schnitter)

II.      Die Arrondierung des Anwesens unter Moritz M. Warburg (1897-1910)

Von dem auf Familie Semper folgenden Besitzer des Kösterbergs erwarb 1897 der Bankier Moritz M. Warburg (1838-1910) dann das Anwesen und erweiterte das Gebiet wohl um 1906 um den östlich gelegenen Besitz des Kaufmanns und Mitbegründers der Holstenbrauerei Anton Julius Richter.[6] Richter hatte um 1880 das etwa 4 ½ ha große Gelände arrondiert und die dort belegenen Acker- und Heideflächen zu einem Landschaftspark gestaltet.[7]

Zunächst bewohnte Familie Warburg das alte Wohnhaus, nun „Arche Noah“ benannt, weil es wirkte, als wäre es nach der Sintflut auf dem Höhenrücken eines Berges gestrandet. Der Architekt Martin Haller errichtete aber schon 1897 einen Steinwurf von der Arche entfernt ein neues, repräsentatives Wohngebäude im Empire-Stil, das „Weiße Haus“ genannt.[8] Die Gestaltung des Geländes legte man in die Hand von Rudolf Jürgens (1850-1930), der 1897 bereits die Planung der Allgemeinen Gartenbau-Ausstellung in den Hamburger Wallanlagen durchgeführt hatte.[9]

III.      Die Blütephase des Familienstammsitzes unter Max M. Warburg (1911-1938)

Aby Warburg (aus: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c4/Aby_Warburg.jpg)
Aby Warburg (aus: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c4/Aby_Warburg.jpg)

Da der älteste Sohn der Familie, Aby Warburg (1866-1929), wenig Neigung zum Bankgewerbe verspürte, versprach er im Alter von 13 Jahren, sein Erbe an seinen jüngeren Bruder Max M. (1867-1946) abzutreten, wenn ihm dieser zeitlebens alle Bücher kaufte, die er besitzen wollte. Durch diesen „sehr großen Blankokredit“ legte sich Aby nach und nach eine der besten kunsthistorischen Bibliotheken des Landes zu,[10] welche zu einem geistigen Zentrum Hamburgs und zur Keimzelle des bis heute bestehenden Warburg-Institute in London wurde, während Max das Bankhaus führte.[11]

Nach dem Tode des Vaters errichtete Max östlich der Arche das sogenannte „Rote Haus“, ein Backsteinhaus im Neorenaissance-Stil.[12] Passend zum südländischen Flair, den vor allem die arkadengeschmückte Loggia vor dem „Roten Haus“ auszeichnete, ließ er ab 1913 von seiner Obergärtnerin Elsa Hoffa (1885-1964) [13] den südlichen Bereich des Richterschen Grundstücks zu einem einmaligen Beispiel Hamburger Reformgartenkunst umformen, dem „Römischen Garten“. Dieser bestand aus der offenen „Römischen Terrasse“ mit einer eindrucksvollen Girlandenhecke und dem mit kleinteiligen Buchsornamenten gegliederten „Rosengarten“. Südlich schloss sich ein etwa kreisförmiges Freilufttheater an.[14] Der renommierte Fotograf Albert Renger-Patzsch (1897-1966) hat diesen Garten und den Landschaftspark 1928 in hochwertigen Aufnahmen festgehalten.[15]

Wie Warburgs in ihrem Privatpark, den sie auch gern mit illustren Gästen teilten, ihren guten Geschmack und ihre Großzügigkeit feierten, lässt die Beschreibung einer Nichte Max Warburgs in Ihren Lebenserinnerungen deutlich werden:

„In späteren Jahren gaben Max Warburg und seine Frau beliebte Feste auf dem Kösterberg, zu denen alles, was in Hamburg Namen, Geld oder Geist hatte, eingeladen wurde. Tante Alice, in königlicher Haltung wie eine regierende Fürstin, immer hell und sehr elegant gekleidet, empfing ihre Gäste in dem runden Salon hoheitsvoll kühl, und jeder stand voller Bewunderung, mit welch’ künstlerischem Sinn und Geschmack der Raum eingerichtet und die Blumen in riesigen Vasen zusammengestellt waren. An kleinen Tischen draußen auf der Terrasse gab es das Souper, später Tanz mit einer Musikkapelle, manchmal auch Aufführungen in dem Freilichttheater, das ganz unten am Fuße des Gartens lag, und zum Schluß zog alles mit brennenden Fackeln durch den Park“.[16]

Theater im Römischen Garten (Foto: Schnitter, 2008)
Theater im Römischen Garten (Foto: Schnitter, 2008)

Viele Fotografien und Beschreibungen des Lebens auf dem Kösterberg lassen diesen Ort im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts neben seiner repräsentativen Funktion ebenbürtig als einen Hort der Familie, Freundschaft und Entspannung erscheinen. Und auch für die Erwachsenen war in jenen Jahren der Stolz spürbar „endlich mehr oder weniger gleichberechtigt am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands teilhaben zu dürfen“.[17]

IV.      Zugriff der Nationalsozialisten (1938-1945)

Während eines Besuches in New York, kurz vor den Pogromen des 9. Novembers 1938, entschied Max Warburg, nicht ins nationalsozialistische Deutschland zurückzukehren. Der verlassene Kösterberg wurde daraufhin von der Stadt Hamburg konfisziert und oblag wie auch andere Anwesen des Elbhanges dem Architekten für die Neugestaltung der Hansestadt Konstanty Gutschow (1902-1978). In Fragen der Landschaftsgestaltung arbeite diesem der Landschaftsarchitekt Max K. Schwarz (1895-1963) aus Worpswede zu. Seit 1941 hatte sich Schwarz mit der Aufgabe zu befassen, „einen Gesamtzusammenhang aller Blankeneser Parke zustandekommen“ zu lassen. Explizit wurden die Anwesen „von Schinkel, Warburg und Münchmeyer“ genannt. An den Begehungen nahmen neben Schwarz und Gutschow auch Bürgermeister Carl Vincent Krogmann (1889-1978) von der NSDAP teil.[18] Diese Planungen sind als Teil der Pläne Adolf Hitlers zu verstehen, Hamburg entsprechend seiner Bedeutung als größter deutscher Seehafen mit Kolossalbauten zu bestücken und das „Gesicht Hamburgs von der Alster weg zum Elbstrom zu wenden“.[19] Max K. Schwarz berichtete in einem Besprechungsprotokoll:

„Bei diesen Parks sind wesentliche Eingriffe notwendig. Vor allen Dingen ist es unerlässlich, dass die Täler alle vom Baumwuchs befreit werden und als Wiesen über die Uferwege hinweg am Elbufer ausklingen, die plastisch interessante Geländeoberfläche der hängigen Parks soll herausgearbeitet werden. Grosse Einzelbäume, Baumpaare und Baumgruppen sind freizustellen. Es ist viel daran gelegen, große Rasenpläne zu erzielen, auf denen die herausgearbeiteten, besonders schönen Bäume voll zur Wirkung gelangen. Vielfach ist es auch erforderlich, weite Durchblicke auf die Elbe zu schaffen.
[…] Durch Herrn Bürgermeister Kroogmann [!] wurde angeregt, dass ich den Park Warburg in Bezug auf seine spätere Verwendung als Umgebung des Führerhauses in einem Gestaltungsvorschlag durcharbeite“.
[20]

Man kam überein, zunächst einen Höhenschichtplan für das Gelände zu erstellen und darauf die Parkgrenzen, Wege und hervorragende Baumgruppen zu verzeichnen.[21] Kriegsbedingt zogen sich die Vorarbeiten bis in den Februar 1943,[22] und in späteren Berichten war von dem Parkprojekt keine Rede mehr. Spätestens nach den flächendeckenden Zerstörungen der „Operation Gomarrha“ im Juni 1943 war an eine Weiterbearbeitung der Blankeneser Parks nicht mehr zu denken.

V.      Anknüpfungen und Neuanfänge unter Eric und Fritz Warburg (1945-1995)

Die tatsächlichen Nutzungen auf dem Kösterberg lagen während der Kriegszeit allerdings komplett anders:[23] War auch der Kösterberg gemeinsamer Sammelpunkt der Warburgs gewesen, so war das Anwesen eigentumsrechtlich jedoch schon vor 1933 unter die Erben von Moritz Warburg in drei Teile geteilt worden. Ab 1939 wurden Teile des Anwesens als „Feindvermögen“ unter die Verwaltung der „Allgemeinen Verwaltungsgesellschaft m.b.H.“ gestellt oder unter Zwang an die Hansestadt Hamburg „verkauft. Zunächst nutzte die Wehrmacht das Gesamtareal, seit Ende 1943 wurden die Nordwestdeutsche Kieferklinik und das Reservelazarett VIII eingerichtet, ab 1945 zudem Gemüseanbau betrieben und Baracken errichtet. [24]

Wenige Tage nach der deutschen Kapitulation kehrte Eric Warburg – mittlerweile Lt. Col. der US Army – nach Hamburg zurück und suchte den Kösterberg auf. Er fand den Besitz „in einem grauenhaften Zustand“ vor:

„Die Häuser waren innen völlig ausgeleert. Auf den Wiesen standen Dutzende von Baracken, die im Kriege Verwundeten und jetzt Flüchtlingen und Bomben-Evakuierten als Unterkunft dienten. Viele der kleineren Rhododendronsträucher waren von den Wehrmachtwagen kaputtgefahren; überall Unkraut; Schlingpflanzen bis in die Baumkronen; die Römische Terrasse ein Kartoffelacker; der Rasen ungeschoren; die Hecken ausgewachsen“.[25]

Um einer Beschlagnahme des Geländes durch die britische Armee „durch eine neue und in ihrer moralischen Dignität kaum zu bezweifelnde Nutzung zuvorzukommen“, [26] plante Eric bereits im Sommer 1945, den Besitz als temporären Aufenthalt für sogenannte „D.P.’s“ [displaced persons: Zwangsvertriebe] zur verfügung zu stellen.[27] Verbindungen zum Bankhaus „Brinckmann Wirtz & Co KG“ in der Rechtsnachfolge des Bankhauses M.M. Warburg & Co nutzend, und „American Joint Distribution Committee“ (im Folgenden kurz „Joint“) nutzend, [28] konnte Eric die britische Militärregierung für sein Vorhaben gewinnen.[29]

Im Januar 1946 kamen die ersten 105 Kinder über Bergen-Belsen für vier Monate auf den Kösterberg, alle im Alter zwischen 15 und 16 Jahren, und aus verschiedenen Konzentrationslagern befreit oder aus ihren Verstecken hervorgekommen.[30] Die zweite Gruppe von etwa 60 Kindern im Alter von 13 bis 15 Jahren folgte im April/ Mai 1946 für fast ein ganzes Jahr. Die dritte Gruppe von etwa 150 Kindern kam zwischen März 1947 und März 1948 auf den Kösterberg, viele von ihnen zwischen vier und fünf Jahren alt und in Begleitung von Betreuern und Pflegepersonal. [31] Ziel des Aufenthaltes im Warburg Childrens Health Home war die Übersiedlung nach Palästina war. Dazu wurden die Kinder medizinisch und pädagogisch betreut und mit der Hebräischen Sprache und Kultur vertraut gemacht.[32] Außerdem erhielten sie militärisches Training.[33] Der Kösterberg bot für diese Kinde ein neues Zuhause:

„Die Häuser lagen neben einem wunderschönen Waldstück, in dem Ausflüge und Picknicks stattfanden, wann immer das Wetter es erlaubte. Das Schwimmbecken, das zerstört worden war […], wurde renoviert und so zum Mittelpunkt des Vergnügens für alle Kinder. Manchmal mieteten [die Erzieherinnen, J.S.] Betty und Re’uma für ein paar Zigaretten und etwas Geld ein Ausflugsschiff. Dann wanderten alle, Erwachsene und Kinder, über einen Pfad bis ans Ufer der Elbe, bestiegen das Schiff und fuhren den ganzen Tag auf dem Fluss hin und her. […] Manchmal machten sie auch Ausflüge nach Hamburg, in den Zoo oder in den Botanischen Garten. Das aber nur selten, da der Antisemitismus noch immer deutlich zu spüren war und man die Berührung mit der deutschen Bevölkerung nach Möglichkeit vermied“.[34]

Nach der Gründung des Staates Israel gab der „Joint“ das Areal 1949 an Eric und Fritz Warburg zurück. Das Weiße Haus stiftete Fritz dem Deutschen Roten Kreuz, welches dort auf seinen Wunsch 1950 das „Elsa-Brandström-Haus“, eine Bildungsstätte und ein Mutter-und-Kind-Kurheim einrichtete.[35] Er selbst ging mit seiner Frau nach Israel. Weder Fritz noch Eric Warburg scheinen eine Wiederherstellung des gesamten Anwesens von Moritz M. Warburg angestrebt zu haben. Vermutlich in enger Absprache miteinander kamen sie mit der Hansestadt Hamburg überein, die jeweils südlich gelegenen Parkbereiche der Stadt quasi kostenlos zu überlassen: Die Stadt gelangte damit in den Besitz des Römischen Gartens einschließlich des Naturtheaters und erhielt überdies die Gelegenheit, den als „Elbhöhenwanderweg“ bezeichneten öffentlichen Spazierweg fortzuführen. Im Gegenzug erhielten beide Warburgs die Genehmigung zur Parzellierung und Bebauung ihrer Grundstücke, die daraufhin eine deutliche Wertsteigerung erfuhren. Damit wurde der räumliche und funktionale Zusammenhalt dieses garten- und kulturhistorisch wertvollen Gartens aufgegeben.

VI.      Warburgs Garten heute

Blick auf die Römische Terrasse (Foto: Schnitter, 2008)
Blick auf die Römische Terrasse (Foto: Schnitter, 2008)

Eric Warburg wurde wieder im Bankwesen tätig und wohnte in den nächsten Jahren etwa zur Hälfte der Zeit in Amerika und den Rest der Zeit in der Arche. Seine Familie – eine Frau und drei Kinder – kam über die Sommerferien auf den Kösterberg. Insbesondere seine Frau hatte große Probleme bei dem Gedanken, in Deutschland zu wohnen.[36] In der Frage um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden erwarb sich Eric durch seine Wiederkehr große Verdienste. Wie sein Vater und Großvater engagierte er sich in wohltätigen Projekten wie dem Israelitischen Krankenhaus, dem Institut für die Geschichte der Juden, der Hebräischen Universität [37] und engagierte sich an der Seite von Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) bei der Verteilung von Care-Paketen aus Amerika. Wieder zählte ein Warburg zum Umfeld der politischen Elite. Für seinen Einsatz für die deutsch-amerikanische Freundschaft wurde er 1988 als erster Preisträger mit dem Erich-M.-Warburg-Preis geehrt.[38]

Es scheint, als habe Eric Warburg versucht, an die Ereignisse vor der Vertreibung anzuknüpfen: „Erich hütet die Vergangenheit und die Tradition“, erkannte seine Cousine Ingrid bei einem Besuch.[39] So stattete er einen Raum des Bankhauses in der Ferdinandstraße mit alten Stichen und Fotographien aus der Familiengeschichte aus, trug wie sein Vater eine Nelke im Knopfloch, übernahm sogar kleine Gesten von ihm.[40] Der Kösterberg war wieder temporäre Anlaufstelle für die Geschwister und Verwandten, die ihn dort immer wieder besuchten.[41] Ingrid Warburg-Spinelli resümierte:

„Wenn ich an den Kösterberg zurückdenke, an den Blick aus meinem Fenster auf den Fluß und die vorüberziehenden Schiffe, die in alle Welt, auch nach England und Amerika zu meinen Verwandten fuhren, dann kommt mir dieser Ort noch heute wie eine Insel, ein gleichbleibend sicherer Bezugspunkt in allen Wirrnissen, wie ein Stückchen Ewigkeit vor“.[42]

Blick vom Elbhöhenwanderweg auf das "Rote Haus" (Foto: Schnitter, 2008)
Blick vom Elbhöhenwanderweg auf das „Rote Haus“ (Foto: Schnitter, 2008)

Eric Warburgs Sorge um den geliebten Garten [43] konnte sich nur noch auf einen geringenTeil des alten Anwesens beziehen, denn 1968 verkaufte er das „Rote Haus“ einschließlich Grundstück dem Verein Elsa-Brandström-Haus. 1999 machte Erics Sohn Max Moritz von seinem vertraglich festgelegten Vorkaufsrecht Gebrauch.[44] Seit dieser Zeit sind wesentliche Teile des alten Parks wieder in Familienbesitz: Das „Rote Haus“, die „Arche“ und ein Teil des nun parzellierten Areals um das „Weiße Haus“, welches noch immer vom Verein „Elsa-Brandström-Haus“ genutzt wird. Nachdem die ausgedehnten Buchenbestände auf dem Kösterberg stark an Höhe zugenommen hatten, sind diese gemäß einem forstökologischen Gutachten vor wenigen Jahren auf weiten Flächen gerodet worden. An ihrer Stelle entwickelt sich nun eine Heidelandschaft, die vom öffentlichen Wanderweg aus das „Rote Haus“ wieder wie ein auf grünen Wellenbergen schwimmendes Schiff wahrnehmen und auch die alte „Arche“ bestaunen lassen. Der Zusammenhang mit dem weithin bekannten „Römischen Garten“ indessen wird wohl nur Wenigen bewusst sein.

Dass der Kösterberg nicht nur für Warburgs bis heute ein Ort der Erinnerung ist, wird an den sogenannten „Kindern von Blankenese“ deutlich – den überlebenden jüdischen Kindern, die das „Warburg Childrens Health Home“ besucht haben. Einigen dieser heute noch lebenden Kinder ist die Erinnerung an diesen Ort so wichtig, dass sie auf Einladung des „Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ in zwei Gruppen, 2005 und 2006, nach 60 Jahren in Blankenese zusammengekommen. Wichtiger Teil des für die Gäste organisierten Programms war jeweils auch eine Einladung Max Warburgs auf den Kösterberg.

Von der besonderen Bedeutung der Zeit auf dem Kösterberg berichten viele dieser „Kinder“ noch heute. Einige Berichte konnte ich im persönlichen Gespräch während des zweiten Treffens 2006 erfahren, viele andere sind in den kürzlich in deutscher Übersetzung erschienenen „Erinnerungen an das jüdische Kinderheim in Blankenese“ niedergeschrieben.[45] Dvora Schiffron erinnert sich beispielsweise an den wunderbaren Anblick, der sich den Kindern bei ihrer ersten Ankunft auf dem Kösterberg bot:

„Ein kleines Paradies, schöner als alles, wovon wir geträumt hatten, empfing uns. Die Baracken und die verlassenen Lager tauschten wir gegen ein wunderschönes Haus mit einem verzauberten Garten, umgeben von beeindruckenden Hügeln“.[46]

Unter dem Einfluss des schönen Hauses, in dem sie nun war und des Flusses in seiner Nähe, so Dvora Schiffron weiter, träumte sie dann vom Haus und Garten ihrer Eltern:

„Mein erstes Heim nach dem Krieg brachte mich zum Haus meiner Kindheit zurück, das es nicht mehr gibt. Mein ganzes Leben lang versuche ich, es wieder herzurichten – in meiner Familie und in meinem Haus in Israel“.[47]

Renia Kochmann beschrieb 1995, wie ihr das Kinderheim Blankenese durch Liebe und Menschlichkeit zwischen Lehrern und Kindern „einen Teil meiner verlorenen Kindheit“ wiedergegeben habe:

„Es war meine schönste Zeit. Es ist eine der Perioden in meinem Leben, an die ich mich am besten erinnere. […] In Blankenese lernte ich, die Natur zu schätzen und mich an ihr zu freuen. Ich liebte es, im Garten umherzugehen und mich an den Blumen satt zu sehen. Dort entdeckte ich die Freude und das Lachen wieder“.[48]

Für die „Kinder von Blankenese“ wurde der Kösterberg nach den erlebten Schrecken gerade wegen seiner „Insellage“, die schon Familie Warburg geschätzt hatte, zu einer Heimat, zu „jüdischem Territorium“, sie wähnten sich „fast schon in Erez Israel“.[49] Alisa Beer schreibt von einer Zeit „zwischen den Zeiten“, der Abkehr von den furchtbaren Erlebnissen und dem beginnenden Verständnis für das, was Kindheit sein kann. „Das wurde uns das erste Mal in Blankenese möglich“.[50]


[1] Privatarchiv Warburg [PAW]: Kösterbergalbum, 1937.

[2] Paul Theodor Hoffmann, Die Elbchaussee: Ihre Landsitze, Menschen, Schicksale; Hamburg 1937, S. 296.

[3] Werbedruck (1) für die Gastwirtschaft Hennigsen, Lithographie von Charles Fuchs, um 1840 (Staatsarchiv Hamburg [StAHH], 151-6; 7/1071)

[4] PAW: Kösterbergalbum, 1937.

[5] Hoffmann, Elbchaussee, 1937, S. 298f.

[6] Das Richtersche Grundstück wurde 1905 parzellenweise zum Verkauf angeboten (siehe „Parzellirungsplan der Grundgüter des Herrn Julius Richter in Blankenese“, StAHH, Plankammer, Blankenese)

[7] Oliver Breitfeld, Campagna am Elbhang. Der Römische Garten in Hamburg-Blankenese. Hamburg 2003, S. 15; Sabine Diefenbach u. H.O. Dieter Schoppe, Parkpflegewerk Römischer Garten in Hamburg-Blankenese, Hamburg 1991 (unveröffentlichtes Manuskript im Denkmalschutzamt Hamburg), S.8; Volker Detlef Heydorn, Der römische Garten in Blankenese – eine verkommene Parkruine, in: Blankenese. Monatszeitschrift des Blankeneser Bürgervereins e.V., Ausgabe C1, 35. Jg. Nr. 9, Hamburg-Blankenese, September 1982, S. 9.

[8] Oliver Breitfeld (Hg.), Albert Renger-Patzsch. Parklandschaften. 60 Fotos für die Warburgs, Hamburg, 2005, S. 88.

[9] Verwaltungsrat des Gartenbauvereins für Hamburg, Altona und Umgebung: Bericht des Verwaltungsrates über das Vereinsjahr 1929/30, in: Gartenbau-Verein für Hamburg, Altona und Umgegend (Hg.), Jahres-Bericht 1929/30, Hamburg, 1930, S. 5-15, hier S. 7.

[10] Ron Chernow, Die Warburgs. Odyssee einer Familie, Berlin 1994, S. 50.

[11] Siehe hierzu als Einstieg: Horst Bredekamp, Michael Diers und Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Aby Warburg. Akten des internationalen Symposiums Hamburg 1990, VCH, Acta Humaniora, Weinheim 1991.

[12] Breitfeld, Parklandschaften, 2005, S. 88.

[13] Breitfeld, Campagna, S. 26, 37, 92.

[14] Ebd., S. 28.

[15] Breitfeld, Parklandschaften, 2005, S. 7.

[16] Olga Lachmann, Eine Kindheit vor 1914: Erinnerungen von Olga Lachmann geb. Warburg (1898-1965), in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Band 9, Heft 2, S. 40. Vgl. Breitfeld, Campagna am Elbhang, 2003, S. 32f, 93.

[17] Ebd., S. 42.

[18] StAHH, 322-3 Architekt Konstanty Gutschow, A 159, Band 1, Tätigkeitsbericht und Besprechungsniederschriften des landschaftlichen und gärtnerischen Sachverständigen Max Schwarz 1941-1943. hier: Bericht vom 02.10. 1941.

[19] Ernst Christian Schütt, Chronik Hamburg, Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/ München 1991, S. 471.

[20] StAHH, 322-3 Architekt Konstanty Gutschow, A 159, Band 1, Tätigkeitsbericht und Besprechungsniederschriften des landschaftlichen und gärtnerischen Sachverständigen Max Schwarz 1941-1943. hier: Bericht vom 02.10. 1941.

[21] Ebd., hier: Bericht vom 24.10. 1941.

[22] Ebd., hier: Bericht vom 12.02. 1943, S. 3.

[23] Ina Lorenz, Ein Heim für jüdische Waisen. AJDC Warburg Children Health Home Blankenes (1946-1948), in: Marion Kaplan und Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart [Festschrift für Monica Richarz], Wallstein Verlag, Göttingen, 2005, S. 336-358.

[24] Ebd., S. 349f.

[25] Eric M. Warburg, Zeiten und Gezeiten: Erinnerungen, Privatdruck, Hamburg 1982, S. 250f.

[26] Lorenz, Heim für jüdische Waisen, 2005, S. 337.

[27] Jizchak Tadmor, Die Geschichte des Kinderheimes Blankenese von Januar 1946 bis März 1948, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 26-59, hier S. 33.

[28] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 213.

[29] Ebd., S. 338ff

[30] Ebd., S. 36.

[31] Tadmor, Geschichte des Kinderheimes Blankenese S. 36f.

[32] Ebd., S. 39.

[33] Elijahu Ben Jehuda, Im Auftrag der Jewish Brigade, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 60-63, hier S. 63.

[34] Tadmor, Geschichte des Kinderheimes Blankenese, S. 55.

[35] Ebd., S. 358.

[36] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 706-708.

[37] Ebd., S. 712.

[38] Ebd., S. 857f.

[39] Warburg-Spinelli, Erinnerungen, 1994, S. 283.

[40] Chernow, Die Warburgs, S. 844.

[41] Ebd., S. 847, 851, 853.

[42] Warburg-Spinelli, Erinnerungen 1991, S. 42.

[43] Ebd., S. 282.

[44] sd, Warum schloß das Brändström (!)-Haus? 16 Mitarbeiter klagen gegen den Verein, in: Hamburger Abendblatt Nr. 33 vom 9. Februar 1999, S. 15.

[45] Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006.

[46] Dvora Schifron, Das Haus in Blankenese, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe, S. 148-150, hier S. 148.

[47] Ebd., S. 150.

[48] Renia Kochmann, Ein Brief von Renia Kochmann, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe, S. 159-160.

[49] Jehuda Margalit, Ferne Tage, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe, S. 168-171, hier S. 168.

[50] Alisa Beer, Das Geschenk, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe, S. 175-176.